Verletzlichkeit, Verbindung und Vertrauen

Diese Woche habe ich eine Freundin besucht. An unserem letzten gemeinsamen Tag wollte sie, dass ich entscheide was wir unternehmen. Ich war mit dem Entscheiden überfordert, wütend, traurig und ängstlich – drückte es ihr gegenüber allerdings nicht aus. Kurz danach stellte ich fest, dass mein Rückfahrtticket deutlich teurer als erwartet war, weil ich zu lange mit dem Buchen gewartet hatte. Wieder wurde ich traurig und wütend – und schwubs, auf einmal hatte ich den Augenblick verlassen und traf in meinem Kopf die Zukunftsentscheidung sie nicht noch einmal zu besuchen.

 

Zum Glück bin ich langsam in der Lage zu erkennen, wann ich eine Schutzstrategie wähle, um im gegenwärtigen Moment weniger zu fühlen und mich vor den ausgelösten Emotionen zu schützen.

Die Strategie, in meinen Kopf und mit meinen Gedanken in die Zukunft zu gehen, um dort eine Entscheidung zu treffen, die dafür sorgen soll, dass die ausgelösten Emotionen nicht noch einmal ausgelöst werden, benutze ich regelmäßig unbewusst.

 

Meine Erfahrung zeigt mir allerdings, dass meine alten Emotionen immer wieder ausgelöst werden und ich den Prozess nur abschließen kann, wenn ich sie in dem Moment, wo sie ausgelöst werden, durchfühle. Davor habe ich Angst, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich mit meinen Gefühlen nicht angenommen werde.

 

Ich muss mich in einem solchen Moment also verletzlich machen, obwohl ich Angst habe. Brrrr …

 

Kurz stand ich alleine vor dem Haus meiner Freundin und begriff, dass ich im Begriff war den Moment zu verlassen. Mit dieser Erkenntnis spürte ich auf einmal wieder die Traurigkeit in mir aufsteigen, die ich eben noch unbewusst versucht hatte zu verdrängen.

 

Sie kam raus und ohne viel zu überlegen, sagte ich zu ihr: „Ich bin traurig. Kannst du mich bitte umarmen.“

 

Sie umarmte mich und nach einer Minute wurde die Traurigkeit in mir so groß, dass sie meine Taubheitsschwelle überschwappte und ich weinen konnte. Vielleicht zehn Minuten verharrte ich in ihren Armen, weinte noch ein bisschen und war damit beschäftigt nicht für sie Verantwortung zu übernehmen und zu entscheiden, wann es für sie gut war sich wieder aus der Umarmung zu lösen.

 

Durch meine Verletzlichkeit (und ihre Offenheit dafür) entstand ein energetischer Zustand von Verbindung zwischen uns, der Vertrauen ineinander kreierte und es uns ermöglichte beim folgenden Spaziergang mehr verletzliche Gedanken und Gefühle zu teilen, die wir bis dahin vermieden hatten auszusprechen.

 

Am Abend wurden dann zwar wieder Emotionen bei mir ausgelöst und ich flüchtete abermals aus dem Moment, aber zumindest hatten wir einen schönen Nachmittag.

 

Was mir allerdings bei der ganzen Sache unvermeidlich erscheint, ist, dass ich einem Menschen bzw. dem Leben einen gewissen Vertrauensvorschuss gebe, auch wenn ich nicht weiß, ob mich mein Gegenüber wirklich hören wird. Wenn ich leben und nicht in meinem Kopf ein einsames Dasein fristen möchte, ist das aber wohl unvermeidlich.

 

Marius

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Kommentare: 1
  • #1

    Ludwig (Samstag, 15 Oktober 2016 20:59)

    Hey Marius,

    schön mal über das lesen einen anderen Einblick in dein Leben zu bekommen.

    Ich umarme Dich mein lieber Freund,
    Ludwig